Biografie DE

Der 1948 in eine hochmusikalische Familie in Amiens hineingeborene Sylvain Cambreling hat seine Posaune professionell rasch gegen den Taktstock eingetauscht, nachdem er 1974 den zweiten Platz im internationalen Dirigenten-Wettbewerb von Besançon mit Berlioz’ »Symphonie fantastique« gewonnen hatte. Seit nunmehr bereits 50 Jahren widmet er sich sowohl der symphonischen Musik als auch der Oper – stets mit einem besonderen Gespür für Zeitgenössisches und Zeitgemäßes.

Pierre Boulez holte ihn 1976 als ständigen Gastdirigenten in das »Ensemble intercontemporain«; sein Debüt an der Opéra national de Paris gab Cambreling 1978 mit Offenbachs »Les Contes d’Hoffmann« in der Inszenierung von Patrice Chéreau. Der Dirigent wurde 1981 zum Generalmusikdirektor des Brüsseler Théâtre de la Monnaie ernannt, wo er zehn Jahre lang blieb und zusammen mit seinem Lebenspartner, dem Intendanten Gerard Mortier, das Haus an die Spitze europäischer Opernhäuser hob. Gastspiele führten ihn an die Metropolitan Opera, die Mailänder Scala, die English National Opera, die Wiener Staatsoper, die Lyric Opera of Chicago und immer wieder nach Paris. Cambreling gestaltete von 1993 bis 1997 als Künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor die Frankfurter Oper – in dieser Zeit wurde er von der Zeitschrift »Opernwelt« das erste Mal zum Dirigenten des Jahres und das Haus zum Opernhaus des Jahres gekürt.

Von 1999 bis 2011 fungierte er als Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters Baden-Baden und Freiburg, mit dem er das Orchesterwerk Messiaens einspielte, wofür er 2009 mit dem Echo Klassik, dem Deutschen Schallplattenpreis sowie 2010 dem MIDEM Classical Award für Contemporary Music ausgezeichnet wurde. Anlässlich seines 75. Geburtstags ist 2023 eine 10-CD-Box mit dem Orchester erschienen, die Werke von unter anderem Janáček, Ravel, Strawinsky, Ives und Messiaen auf Tonträger bannt und so die zahlreichen Opern- und Konzerteinspielungen diverser Orchester unter Cambrelings Leitung ergänzt. Der Dirigent konzertierte mit Orchestern wie den Wiener und Berliner Philharmonikern, den Rundfunkorchestern von Berlin, Köln, Kopenhagen, Stockholm und London, den Münchner Philharmonikern, dem Philharmonischen Orchester Oslo, dem Cleveland Symphony Orchestra, den Orchestern Los Angeles Philharmonic und San Francisco Symphony sowie dem Orchestre Symphonique de Montréal.

Von zahlreichen Festspielen ist Cambreling mehrfach eingeladen worden und konnte so seine künstlerische Spannbreite in Oper sowie Symphonik ausweiten: beim Lucerne Festival mit Werken von Debussy über Berio bis hin zu Haas, bei der Ruhrtriennale mit Kompositionen von Zimmermann, Xenakis sowie Messiaens »Saint François d’Assise«. Bei den Wiener Festwochen hat er Schönberg, Ligeti, Neuwirth und Dutilleux zum Klingen gebracht, beim Glyndebourne Festival Rossinis »Il barbiere di Siviglia« und Strawinskys »The Rake’s Progress« auf die Bühne – Letzteres in der Ausstattung von David Hockney. Für die Salzburger Festspiele dirigierte Cambreling fast ein Dutzend Produktionen, darunter »La Damnation de Faust« in der Inszenierung von La Fura dels Baus, »Le nozze di Figaro« in der Regie von Christoph Marthaler, Bob Wilsons ikonische Produktion von »Pelléas et Mélisande« sowie »Les Troyens« in der Inszenierung Herbert Wernickes. Cambreling wird 2024 erneut in Salzburg zu Gast sein – mit dem Klangforum Wien, für das er über 20 Jahre lang als Erster Gastdirigent fungierte.

Seine Interpretationen in der Symphonik wie der Oper zeichnen sich durch Klarheit, Präzision und nachhaltige emotionale Resonanz aus – in einem weiten Repertoire, das er selbst als »von Monteverdi bis morgen« etikettiert. So überrascht es nicht, dass er als Chefdirigent des Yomiuri Nippon Symphony Orchestra in Tokio von 2010 bis 2019 ebenso gefeiert wurde wie als Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart, bei der er in der Intendanz von Jossi Wieler von 2012 bis 2018 engagiert war und die 2016 als Opernhaus des Jahres geehrt wurde. Für seine Beiträge zur Kunst wurde Cambreling mehrfach ausgezeichnet – so 2007 zum Chevalier de la Légion d’honneur, 2008 mit dem Premio Abbiati und 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Seit 2018 ist Cambreling Chefdirigent der Symphoniker Hamburg – und hat seinen Vertrag bis 2028 verlängert. Auch in der Laeiszhalle weiß Cambreling von barocken Klängen Rameaus über Klassik, Romantik und Moderne mit dem Schwerpunkt Messiaen bis hin zu den zeitgenössischen Tönen Hosokawas und Boesmans’ ein facettenreiches Spiel interpretatorischer Tiefe zu präsentieren, das gerade in der farb- und ideenreichen Zusammenstellung und dem Verständnis für die musikalische Struktur immer wieder überrascht und begeistert.